Jörg Baumann

European Thinkbelt

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Der britische Architekt Cedric Price veröffentlichte 1966 sein „Potteries Thinkbelt Project“: einen visionären Plan für eine mobile Universität in der nordenglischen Industrieregion um Staffordshire, die sich im Niedergang befand. Er wollte das lokale Eisenbahnnetz umwandeln, um für die Berufspendler*innen Seminarräume auf Schienen, Bibliotheken in Bahnhöfen und Labore in Lokomotiven zu schaffen.

Der japanische Theatermacher Akira Takayama, seit 2014 „associated artist“ des Mousonturms, erarbeitet in Frankfurt innerhalb der Aktivitäten des Bündnisses Internationaler Produktionshäuser derzeit das mehrjährige künstlerische Forschungsprojekt „European Thinkbelt“, dem das einflussreiche Konzept von Cedric Price zugrunde liegt. Takayama überträgt Prices Idee einer flüchtigen Universität in das Europa von heute, durch das Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt ziehen, die entweder abgewiesen oder im Zuge ihrer notwendigen „Integration“ zum Erlernen örtlicher oder nationaler Standards, Stereotype und sonstiger Verhaltensnormen aufgefordert werden.

Eigentlich könnten aber eher die Einheimischen Neues und Ungewohntes von den Neuankommenden lernen. Deshalb rief Takayama im März 2017 die „McDonald’s Radio University“ ins Leben, in der Geflüchtete als Professor*innen klandestine Vorlesungen über kleine Sendermikrofone in Frankfurter McDonald’s-Filialen hielten. Die Restaurantkette mit dem maximalen Wiedererkennungswert hatte Takayama für sein „Theater, das sich versteckt“ (Hans-Thies Lehmann) als weltweiten und hyperdiversen Treffpunkt und Zufluchtsort identifiziert, in dem für jede*n ein stundenlanger Aufenthalt, notfalls auch über Nacht, möglich sei, bei freiem W-LAN. Takayamas „European Thinkbelt“ bespielt dementsprechend idealerweise eines Tages sämtliche McDonald’s-Filialen entlang der Balkanroute: Der Künstler hat sie minutiös kartografiert für eine das Projekt begleitende und sie zum „Potteries Thinkbelt“ ins Verhältnis setzende Ausstellung. Seine Analyse: „Theater und Museen sprechen sich immer lauter für Flüchtlinge aus, während bei Mc Donald’s bereits viele Kulturen und Ethnien zusammenleben.“

Für „Claiming Common Spaces“ hat Takayama nun begonnen, mit seinen Frankfurter Professor*innen – mit denen er zwar schon seit mehreren Jahren zusammenarbeitet, die aber wegen ihres Status als Geflüchtete oft nicht angemessen entlohnt werden können – neue Geschäftsmodelle und Start-up-Business-Ideen zu entwickeln. Seit Januar führt er mit Expert*innen und Interessierten in regelmäßigen Abständen sogenannte „McDonald’s Radio University Business Lunches“ an verschiedenen Orten der Stadt durch. Um das Problem der ökonomischen Diskriminierung zu lösen, plant er für 2019 sogar die Einführung einer eigenen Währung („McCash“), die zunächst im Mousonturm und dann in immer mehr Institutionen, Unternehmen und Geschäften Frankfurts und der Welt (und am Ende sogar bei McDonald’s) Geltung erlangen soll, und für die ganz eigene, innovative, stärker emotional denn monetär orientierte Zahlungskriterien entwickelt werden, die auf zivilgesellschaftlicher Relevanz und solidargemeinschaftlichem Wert basieren könnten.