
Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Aufmachen!
Die Welt macht dicht – und wer macht auf?! Von Echokammer bis Migrationsdebatte: Überall wird abgeriegelt, abgegrenzt, abgeschottet. Doch was, wenn genau das Gegenteil notwendig ist? Wenn Räume geöffnet werden müssen, damit Menschen sich begegnen und Neues entsteht?
In dieser Denkwerkstatt geht es um Kunst, die verbindet: Frankfurter Künstler*innen teilen ihre kreativen und sozialen Praktiken der Begegnung. Wie kann man Theater, Institutionen, Kollektive – oder sogar Volkstänze und den Nahverkehr – aufmachen?
Für wen?
Für alle, die mitgestalten wollen: Jugendliche, Künstler*innen, Teilnehmer*innen von Community-Projekten, Fachpublikum, Studierende – diese Werkstatt ist für euch. Erlebt Begegnung live: Tanz-Workshops und Performances im öffentlichen Raum, spielerische Austauschformate mit anderen Teilnehmenden.
Zeitplan - das erwartet euch!
Freitag, 25.4.:
16:30-19:30 Uhr: Welcome! Offenes Haus!
Ort: Junge Theaterwerkstatt am Zoo (Terasse, Erdgeschoss Foyer, 1. Stock Foyer)
Willkommen im „Offenen Haus“ der Jungen Theaterwerkstatt am Zoo. Mit dabei sind junge Akteur*innen vom Haus, Tischtennis, eine lokale Radiostation und natürlich Snacks und Drinks. Kommt an und groovt euch erstmal mit uns ein!
19:30 Uhr: “Wir drehen das lieber selbst, sonst glaubt uns das am Ende keiner mehr”
Ort: 2. OG Saal, Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Filmabend: Zwischen Doku und Fiktion stellt Arthur Romanowski die frühen Filme von Krzysztof Kieślowski im sozialistischen Polen vor.
20 Uhr: News from Beyond von Gob Squad
Ort: Saal, Künstler*innenhaus Mousonturm
Gemeinsamer Vorstellungsbesuch vom neuen Stück von Gob Squad. Wie überwinden, was uns trennt? Als Wandernde zwischen den Welten schicken Gob Squad live aus dem Stadtraum Voice Messages ins Theater, wo das Publikum buchstäblich im Dunkeln sitzt. Nach und nach entwickeln die Nachrichten auf der Bühne ihr Eigenleben als poetische Sound-Collage und schaffen Möglichkeiten echter Verbundenheit.
Samstag 26.04.
10 – 21 Uhr: Showing & Sharing: Impulse zu Kunst und Begegnungen
10-12:30 Uhr: Workshop mit Gob Squad
Ort: 2. OG Saal, Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Was ist im Weg, damit Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen sich als Publikum willkommen fühlen? Und was bedeutet es, wenn zwar verschiedene Perspektiven auf der Bühne gezeigt werden, im Publikum aber kaum vertreten sind? Inspiriert vom Arbeitsansatz von „Common Wealth“ aus UK erprobte Gob Squad ab 2023 gemeinsam mit dem Vermittlungsprogramm HAU to connect des HAU Hebbel am Ufer in Berlin unterschiedliche künstlerische Wege, mit Menschen aus der Nachbarschaft die Bühne zu teilen. Die Strategien, die sie für “Dancing with our Neighbours” (2024) anwandten, ermöglichten es, dass bis zu einem Drittel des Publikums zum ersten Mal das HAU besuchte.
Innerhalb eines moderierten Gesprächs erzählen Gob Squad in 45 Minuten von gelernten Strategien und gemachten Erfahrungen bei der künstlerischen Arbeit mit der Nachbarschaft und beantworten Fragen zu News from Beyond (2025). Im Anschluss teilen sie die Methode des „Open Space“ mit allen Anwesenden und geben damit eineinhalb Stunden Raum für eigene Fragen und die gemeinsame Suche nach neuen Lösungswegen.
12:30-14 Uhr: Gemeinsames Mittagessen
14-15:30: Workshop local dancing
Ort: tba
local dancing lädt ein, zum Vergnügen und zu Live-Keyboardmusik, lokale Tänze zu tanzen. Da ist zum Beispiel der Beinschwingertanz, der Exquisite Tanz, der Summertime Sadness Tanz und der Faule Tanz. Mit Hilfe von Queerer Überlieferung und eigens erfundener Instant-Tradition imaginiert local dancing populäre Gruppentänze, die nicht-binär und unpaarig in Erscheinung treten. Ohne nationale Bindung täuschen die Tänze vor lokal zu sein, wo auch immer sie sind.
15:30-16 Uhr: Kaffee, Kuchen, Tee
Ort: Erdgeschoss Foyer
16-18 Uhr: Performance-Verleih
Treffpunkt um 16 und 17 Uhr: Terasse, Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Beim Performance-Verleih kann man zwischen vier Positionen wählen. Stündlich ist ein Wechsel möglich. Ausführliche Beschreibungen der verschiedenen Positionen erfährst du beim Performance-Verleih!
Mit: imaginary company, Künstler*innenhaus Mousonturm, Mobile Albania und red park
18:30: 10-Gänge-Menu “Kunst und Begegnungen”
Ort: Foyer Erdgeschoss, Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Wo Kunst und Begegnung schon immer zusammen gekommen sind? Natürlich beim Essen. Zum Abschluss des Programms wird ausgiebig diniert, sinniert und diskutiert. Manche Gänge sind essbar, andere sind food for thought. Häppchenweise erfahren die Teilnehmenden so von Projekten und Ideen der anderen, die am Tisch sitzen.
Sonntag 27.04.
10–12 Uhr: Gemischte Tüte – Reflexionsproviant zum Mitnehmen mit Jane Eschment
Ort: Treffpunkt Erdgeschoss Foyer, Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Im Reflexionsformat am Sonntag werden Erfahrungen, Begegnungen und Beobachtungen als symbolischer Abschiedsproviant zusammengetragen. Granatapfelspritzer, Krümel, Fettflecken, verschütteter Kaffee werden zu Begleitspuren dieser Reflexionsgespräche. In gemeinsam zu befüllenden und damit unvorhersehbaren Provianttüten sammeln sich Begegnungen, offene Fragen, visuelle Spuren und Nachdenkbewegungen zum Mitnehmen. Mit Jane Eschment von der Universität zu Köln.
Infos
Offen für alle Interessierten ab 14!
Die Teilnahme ist kostenlos.
Anmeldung hier
Über die Junge Theaterwerkstatt am Zoo
Über ein Jahr hinweg entsteht am Frankfurter Zoo als einzigartiges Modellprojekt ein internationales Produktionshaus für Kinder und Jugendliche: Die Junge Theaterwerkstatt am Zoo. Von Sommer 2024 bis Sommer 2025 können Kinder und Jugendliche in über 20 herausragenden Produktionen von Künstler*innen aus der Region, aus Deutschland und der ganzen Welt packendes Theater erleben – und daran teilhaben. Die Junge Theaterwerkstatt versteht sich zudem als offener Ort der Intervention, den eine junge Öffentlichkeit insofern mitgestaltet, dass Kinder und Jugendliche dort gemeinsam ihre künstlerischen, gesellschafts- und kulturpolitischen Anliegen verfolgen und zum Ausdruck bringen. Das Theater wird zum Ort der Verhandlung und konkreten Transformation darüber, wie die Aneignung künstlerischer Praktiken und kultureller Orte in der Zukunft aussehen kann.
Dokumentation
Denkbewegungen zur Denkwerkstatt Aufmachen
Die Junge Theaterwerkstatt bespielt ihren temporären Ort im ehemaligen Zoogesellschaftshaus in Frankfurt am Main als vielgestaltige Werkstatt, Bühne und Plattform für künstlerische Aufführungs- und Vermittlungsangebote für Kinder und Jugendliche, um erlebbar zu machen und weiter zu erkunden, wie partizipativ, zugänglich, nachhaltig und divers zeitgenössisches Theater für junges Publikum sein muss.
Mit der Denkwerkstatt Aufmachen! wurde die Junge Theaterwerkstatt am Zoo im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kunst & Begegnungen vom Bündnis internationaler Produktionshäuser zum Aushandlungsraum für Fragen danach, wie Theater, Kunsträume und künstlerische Praktiken geöffnet und vielen zugänglich gemacht werden können.
Fragen an das Aufmachen! als situierte, künstlerische und institutionelle Praxis
Im Ankündigungsbild zur Denkwerkstatt Aufmachen! scheint es für einen kleinen Moment so schön, so einfach: „We want to be an open house“ – hier ist der Schlüssel. Aber klar, ganz so einfach ist es eben nicht. Öffnungs- und Teilhabeprozesse im Theater strukturell voranzutreiben und das Theater mit den Mitteln der Kunst als Begegnungs-, Versammlungs- und Aushandlungsort einer superdiversen Gesellschaft zu öffnen, ist ein notwendiger wie komplexer Anspruch. Was heißt Aufmachen! in einer Gegenwart, in der der gesellschaftliche Resonanzraum für rechtsextreme, rassistische, queerfeindliche, antisemitische, ableistische Positionen lauter geworden ist? Was heißt Aufmachen! angesichts der Realität eines Spektrums von völkisch-nationalistischen, rechtsextremen Akteur*innen in den Parlamenten mit politischen Machtpositionen, die die Idee einer inklusiven Gesellschaft systematisch schwächen und strukturell abschaffen wollen? Was heißt Aufmachen! von Institutionen angesichts einer wachsenden sozialen Ungleichheit? Wenn zahlreichen Menschen dieser Gesellschaft das Recht auf kulturelle und vor allem auf eine politische Teilhabe verwehrt und gezielt abgesprochen wird – welche symbolische Kraft und welche Dringlichkeit verbindet sich mit dem Gedanken des Aufmachens von Kunsträumen als solidarische Räume? Wie zeigt sich Aufmachen! als Praxis, also als künstlerische Vermittlungsarbeit im Theater, wenn sie aus einer institutionskritischen Perspektive heraus gedacht wird und auch bedeutet, Entscheidungs- und Gestaltungsmacht umzuverteilen? Was heißt Aufmachen!, wenn es sich nicht in der symbolischen Geste erschöpft den Schlüssel an andere abzugeben, sondern mit der Verantwortung einhergeht im Aufmachen auch über Schutzräume und Grenzen des Aufmachens zu sprechen?
Ankommen im offenen Haus
Für das erste Ankommen in der Denkwerkstatt zeigt sich das Aufmachen als Praxis einer sorgetragenden Gastgeber*innenschaft der Jungen Theaterwerkstatt. Für die Teilnehmer*innen öffnen sich viele parallele Möglichkeiten eines langsamen Ankommens und Eintauchens in die Räume und ihre Atmosphären: Kleine Begegnungen zwischen Waffel- und Popcorngeruch, Stempel basteln und Stoff bedrucken, während direkt neben dem Basteltisch Jugendliche beim Werkstatt-Live-Radio Musik abspielen, ihre Gedanken und Beobachtungen teilen und Menschen, die an diesem Ort arbeiten, in Interviewgesprächen zu Wort kommen. Hier wird ein erzähltes Wissen über die Räume, ästhetische Praktiken und Begegnungen geteilt, während wiederum andere die selbstgebaute Tischtennisplatte auf der Terrasse testen oder Chat GPT nach Zukunftsbildern des Theaters fragen. Gleichzeitig gibt es auch das Angebot von Rückzugsräumen und Gesprächsmöglichkeiten mit Vertrauenspersonen aus dem Team, die in ihren pinken Westen sicht- und ansprechbar sind. Aufmachen, das zeigt sich in der Veranstaltungsorganisation auch als aufmerksames „auf dem Weg sein“ im Abbau von Barrieren und im Reflektieren einer erweiterten Zugänglichkeit.
Ganz ähnlich wie dieses vielgestaltige Ankommen in der Denkwerkstatt funktioniert das „Offene Haus“ als regelmäßiges Format in der Jungen Theaterwerkstatt, das von Laura Zettl und Anton Winker gehalten wird. Kinder und Jugendliche sind eingeladen im Foyer des Theaters ihre Zeit zu verbringen. Die Adressierung dahinter scheint erstmal niedrigschwellig: „Du kannst kommen und gehen, wann du möchtest. Du musst nichts mitbringen und nichts Bestimmtes tun“.
Während des 10 Gänge-Menüs Kunst & Begegnungen auf der Terrasse teilen Laura Zettl und Anton Winker ihre Lieblingsmomente und Learnings aus der Arbeit im Offenen Haus: Die Bedeutung der verlässlichen Anwesenheit beider steht weit oben, dann das empathische, aufmerksame Zuhören, welche Themen und Interessen Kinder und Jugendliche in diesen Raum hineintragen, um eben diesen Platz zu schaffen, Formate zu erfinden und ästhetische Erfahrungsräume von Basteln bis Karaoke zu inszenieren. Es sind diese kleinen Erzählungen über Arten und Weisen des künstlerisch inspirierten „In Beziehung Tretens,“ die mir als Spuren einer situierten Wissensproduktion zum Aufmachen besonders relevant erscheinen. Wer jetzt im Lesen Paniksternchen in den Augen bekommt, dass doch da die Grenzen verschwimmen zwischen Angeboten offener Jugendarbeit und künstlerischer Vermittlungsarbeit – ich empfehle Ausatmen, Aufmachen, binäre Distinktionsbrillen mit Facettenaugen tauschen.
Mit dem Aufmachen des Foyers als Offenes Haus entsteht ein Erfahrungsraum von Theater „ohne ins Theater zu müssen“, der jedes Mal gemeinsam durch die Anwesenden hervorgebracht wird, sich verändern kann und gleichzeitig Spuren vergangener Begegnungen und ästhetischer Praktiken aufnimmt und speichert. Die beziehungsorientierte Haltung in der künstlerischen Vermittlungsarbeit und die Möglichkeit abzuhängen und gleichzeitig Anregungen zu finden, sich und etwas auszuprobieren, sich lustvoll wie ernsthaft und nebenbei Themen der eigenen Lebenswirklichkeit zu widmen, in gemeinsame Wunschproduktion einzutauchen – dieses Zusammenspiel kann Neugierde auf Theater als gemeinschaftlichen Erfahrungsraum wecken. Die Erfahrung für Kinder und Jugendliche, den Raum Theater mit der eigenen Anwesenheit verändern und mitgestalten zu können und sich darin als selbstwirksam und handlungsfähig zu erleben, kann helfen, symbolische Schwellen ins Theater abzubauen.
Aufmachen in der künstlerischen Praxis
Verschiedene lokale Künstler*innen teilen an diesem Wochenende ihre Praktiken, um ästhetische Erfahrungen in Gemeinschaft anzuregen und irritationsfreudig Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen zu öffnen. Beim local dancing mit Clara Reiner, René Alejandro Huari Mateus, Jacob Bussmann und Frédéric De Carlo, im Supermarkt mit imaginary company, im alten Bus mit Mobile Albania, mit Versammlungsstrategien von red park, bei Einblicken in die Residenzarbeit FRUTTI DI MARE von David Kwiek und Angelo Berber am Mousonturm oder in kleinen Erzählungen als „food for thoughts“ beim Abendessen – in der Denkwerkstatt werden unterschiedliche Verständnisse und künstlerische Ausrichtungen, Bewegungen und Handlungsweisen gezeigt, um Beziehungsgeflechte zu initiieren und zu befragen.
Zum Aufmachen! erzählen Gob Squad und Stella Konstantinou (Dramaturgin des Vermittlungsprogramms HAU to connect am Hebbel am Ufer) aus ihrer Zusammenarbeit mit Nachbarschaftsinitiativen rund um den Mehringplatz in Berlin, z.B. im Projekt Handle with Care, das in einer langsam aufgebauten, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Beziehungsarbeit zwischen Vermittlungsteam, den Nachbarschaftsinitiativen und Künstler*innen entwickelt wurde. Nicht zuletzt dank der im Projekt vorhandenen, zentralen Ressource Zeit, konnte das Interesse aller Beteiligten, sich gegenseitig kennenzulernen, sich an unterschiedlichen Orten zu besuchen, sich in unbekannte, unvorhersehbare Erfahrungs- und Aushandlungsräume zwischen Alltag und Kunst zu begleiten und mit- und voneinander zu lernen, wachsen. Nachdem das Theater zuvor immer wieder den Kiez als Bühne genutzt hatte, gelang es in diesem Projekt das Theater zu verändern und es für Menschen aus dem Kiez zu öffnen. Die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen, Vermittler*innen, den Menschen und ihren Communities aus dem Kiez zeigt eine Praxis des Aufmachens, die eine transformative Kraft für alle Beteiligten entfalten konnte. Im Zuhören der Erzählungen überträgt sich ein nachwirkendes Berührtsein von diesem Projekt.
Strukturelle Fragen des Aufmachens
Im Open Space mit Gob Squad diskutieren die Teilnehmer*innen der Denkwerkstatt Fragen an das uneingelöste „Theater für Alle“ und rücken strukturelle Bedingungen von Öffnungsprozessen in den Fokus. Aufmachen!, das fordert ein, sich mit strukturell bedingten und historisch gewachsenen Ausschlüssen, die im Symptom der Abwesenheit zum Ausdruck kommen, zu beschäftigen. Institutionen tun sich eher schwer damit, im Nachdenken über Abwesenheiten nicht zu einfachen Erklärungsmustern zu greifen, die das Unbekannte als „das Andere“ markieren, sondern Abwesenheit als Effekt von sozialen, rechtlichen und politischen Ungleichbehandlungen zu analysieren. Der Austausch in der Denkwerkstatt zeigt deutlich, dass sich, aus der Perspektive einer kritischen Kunstvermittlung (1), strukturell bedingte Schmerzpunkte und Forderungen an institutionelle Öffnungsprozesse an unterschiedlichen Orten wiederholen, wenngleich strategische oder tricksende Umgangsweisen in der Vermittlungsarbeit variieren. Institutionsinterne Erwartungshaltungen an Vermittlungsarbeit im Theater, reibungsaffine Prozesse zwischen Intendanz, Dramaturgie, Marketing, Künstler*innen und Vermittler*innen, ebenso wie externe bildungs- und kulturpolitische Vorstellungen davon, was Vermittlungsarbeit im Theater für Funktionen erfüllen soll, verbunden mit entsprechenden Förderlogiken – dies alles wirkt ein auf das, was es kontextspezifisch bedeuten kann, dieses Aufmachen. Wie also mit dem Eindruck umgehen, manchmal im Strudelbecken der eigenen Institution diskursiv im Kreis zu schwimmen? Es ist wichtig, in der künstlerischen Vermittlungsarbeit zwischendurch kurz Luft zu holen, um das eigene Verstricktsein in institutionelle Logiken bewusst zu reflektieren, den Austausch über die eigene Institution hinweg zu pflegen, sich theoretische Konzepte und verschiedene Funktionen von Vermittlung (2) vor Augen zu führen, um das eigene professionelle Selbstverständnis kritisch auszuloten. Es wird deutlich, dass sich Fragen des Aufmachens nur begrenzt übergeordnet beantworten lassen – als gelebte Praxis müssen sie orts- und kontextspezifisch gestellt und ausgehandelt werden.
Gleichzeitig geöffnet und geschlossen
Während die Türen und Fenster der Jungen Theaterwerkstatt für alle an der Denkwerkstatt Interessierten weit offen stehen, gibt es gleichzeitig eine symbolträchtige Begrenzung der Zugänglichkeit. In direkter räumlicher Nähe, in der anderen Gebäudehälfte, findet mit dem Sale-Verkauf des Modelabels 6PM von Achraf Ait Bouzalims ein Parallelereignis statt, das mit einem von Security Mitarbeiter*innen gesicherten Eingang, einem Andrang von tausenden Jugendlichen und viel Social Media Aufmerksamkeit einhergeht.
Wer zur Denkwerkstatt Aufmachen! möchte, muss die Zugehörigkeit zum Theater bei der Security benennen und sich damit von den wartenden Jugendlichen abgrenzen. Während sich also auf der einen Seite des Gebäudes ein paar theateraffine Jugendliche und Erwachsene um die Frage drehen, wie es denn gelingen könnte, dieses Aufmachen im Theater, wird auf der anderen Gebäudehälfte der restriktive Zugang und die Begrenzung im Konsum performt. Und ganz offensichtlich strahlt der gemeinschafts- und identitätsstiftende Charakter des Verkauf-Events eine große Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Achraf Ait Bouzalims selbst spricht auf TikTok von Community Building und dem Gefühl, eine Familie zu sein – ein großes Versprechen, da die warenförmige Art und Weise der Beziehung zwar verschleiert, aber trotzdem affiziert und funktioniert.
Die Gleichzeitigkeit und räumliche Nachbar*innenschaft dieser Ereignisse bietet den Teilnehmer*innen in der Denkwerkstatt konstant Anlässe für Irritationserfahrungen und eine selbstkritische Befragung von Wahrnehmungs- und Denkweisen. Als am Sonntag zum Abschluss auf der Terrasse symbolische Provianttüten mit Reflexionsanlässen gefüllt werden, ist der Vorplatz der Jungen Theaterwerkstatt ungewohnt leergefegt. Nur ein paar Absperrgitter zeugen noch vom Andrang der vergangenen Tage. Die Blicke der Denkwerkstatt-Teilnehmer*innen bleiben ambivalent angesichts des latenten Unbehagens, in einer Art doppelten Zoosituation festgesteckt zu haben, in der Theatermacher*innen und Jugendliche sich mehr oder weniger intensiv angeschaut, aber nicht wirklich in Kontakt getreten sind. In der Nach-Denk-Bewegung entstehen offene Fragen: Sollten Theater die Reichweite von Influencer*innen ernster nehmen, wenn sie junge Menschen einladen wollen? Wie genial ist es noch Flyer zu drucken, die maximal erwachsene Multiplikator*innen anderer Institutionen erreichen? Aber möchte eine kritische künstlerische Vermittlungsarbeit nicht gerade einer quantitativen, marktförmigen Logik ein anderes, kapitalismuskritisches Werteverständnis entgegensetzen? Manche Teilnehmer*innen imaginieren nachträglich, ob und wie in dieser Situation ein Aufmachen über künstlerische Praktiken möglich gewesen wäre. Hätten wir Banner malen, zum Essen und Trinken einladen, spontanes Karaoke auf dem Platz anbieten können? Was hätte sich ereignen können?
Oder geht es auch darum anzuerkennen, dass das Theater keine jugendlichen Massen zieht – nicht zuletzt, weil klassistische Strukturen dieser Gesellschaft nach wie vor stark in die (Nicht)Berührung mit Theater hineingewoben sind?
Was bleibt?
Aufmachen! als Praxis für künstlerisch initiierte Begegnungen wird in der Denkwerkstatt an diesem Wochenende vielstimmig und irritationsfreundlich erfahrbar, durchaus unterschiedlich interpretiert, als macht- und institutionskritische Praxis kontrovers diskutiert, und durch die sorgetragenden Gesten einer liebevollen Gastgeber*innenschaft gerahmt.
Aufmachen! - das ist politisch. Mit wessen Anliegen einer superdiversen Gesellschaft verbünden sich die Menschen, die Theater als Institution in alltäglichen Handlungen hervorbringen? Mit wessen Anliegen verbünden sich kulturpolitische wie bildungspolitische Entscheidungsträger*innen, wenn sie über wirkmächtige, strukturelle Rahmenbedingungen für die Künste und kulturelle Bildung entscheiden?
Das Aufmachen! von Kunsträumen verbindet sich in dieser Gegenwart, in der rechtsextreme, völkisch-nationalistische, antifeministische Ideologien global erstarken, in einer Gegenwart, in der die Würde und das Leben so vieler Menschen alltäglich missachtet, verletzt und existentiell bedroht wird, mit der Dringlichkeit, Kunsträume wie das Theater als solidarische, empathische und potentiell schutzgebende Räume zu denken, sie als wehrhafte und transformative Räume einer pluralen Demokratie lebendig zu gestalten und sie als Orte für irritationsfreundliche Begegnungen in einer konflikthaften Wirklichkeit zu stärken.
Wenige Tage nach der Denkwerkstatt fällt der politische Entschluss in Frankfurt: Das ehemalige Zoogesellschaftshaus wird in den nächsten Jahren umfassend saniert und als Theater für junges Publikum umgebaut. Das Theater für ein junges Publikum zu stärken, Infrastrukturen für künstlerisch-forschende Aushandlungsräume und potenziell Platz für die Erfahrungen und Geschichten von jungen Menschen dieser Gesellschaft zu schaffen, ist aktuell eine auffällige und starke kulturpolitische Positionierung, während in anderen Bundesländern Kürzungen verkündet werden. Gleichzeitig neigt sich mit dieser Entscheidung die Zwischennutzung der Jungen Theaterwerkstatt dem Ende entgegen. Viele Ideen sind hier im letzten Jahr entstanden, was es sein, werden und brauchen könnte – ein zukünftiges und zukunftsfähiges Theater für Kinder und Jugendliche. Es wäre begehrenswert, dass dieser zukünftige Raum in seinen neu wachsenden Bestandteilen den Werkstatt-Charakter, den Gedanken des Offenen Hauses und die transformativen Kraft darin behalten und weiter wuchern lassen kann.
(1) Zum Begriff kritischer Kunstvermittlung siehe u.a. Güleç, A., Herring, C., Kolb, G., Sternfeld, N., Stolba, J. (Hg..) (2020): vermittlung vermitteln. Fragen, Forderungen und Versuchsanordnungen von Kunstvermittler*innen im 21. Jahrhundert. Berlin: ngbk Verlag; auch Mörsch, Carmen (2014): Sich selbst widersprechen. Kunstvermittlung als kritische Praxis innerhalb des Education Turn in Curating. In: Meyer, Torsten/Kolb, Gila (Hg.): What’s next? – Art education – Ein Reader 2. München: kopaed.
(2) Siehe zu Wirkung und Funktion von Vermittlung: Mörsch, Carmen / Fürstenberg, Stefan (2012): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung. Herausgegeben vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), im Auftrag von Pro Helvetia, als Resultat der Begleitforschung des «Programms Kulturvermittlung» (2009–2012). Online: https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/
Jane Eschment arbeitet am Lehrstuhl für Ästhetische Bildung der Universität zu Köln sowie in freien Projekten als Kunst- und Theaterpädagogin.

Jane Eschment bei der Denkwerkstatt Aufmachen!