Kunst & Begegnungen
Kulturinstitutionen begreifen sich zunehmend als Orte der Begegnung. Sie dienen dem Austausch zwischen verschiedenen Altersgruppen, Kulturen und Sozialisationen. Praktiken der Partizipation sind als Formate und künstlerische Strategien in den Produktionshäusern konzeptionell fest verankert und bestrebt langfristige Beziehungen zu ihren vielfältigen Besucher*innengruppen im jeweiligen ortsspezifischen Umfeld aufzubauen. Idealerweise werden kulturelle Zugänge in verschiedene Richtungen geschaffen und Barrieren abgebaut. In der Diversität der Projekte, die neue Formen von Beteiligung entwerfen, spiegelt sich die Komplexität des Feldes wider: Sie reichen von der künstlerischen Praxis, in der performative Strategien der Beteiligung und kollektive Autor*innenschaften erprobt werden, bis zu öffentlichkeitswirksamen und publikumsentwickelnden Maßnahmen.
Veranstaltungsreihe Kunst & Begegnungen
Das Bündnis internationaler Produktionshäuser lädt ab der Spielzeit 2024/25 zu einer Veranstaltungsreihe rund um das Praxisfeld Kunst und Begegnungen ein. Die sieben Häuser stellen dabei Strategien der Beteiligung in einer vielfältigen Gesellschaft zur Diskussion: das Miteinander in diversen Nachbarschaften, widerständige Strategien in sozialen Netzwerken, Spannungen zwischen den Generationen, solidarische Organisation in Zeiten politischer und finanzieller Krisen und immer wieder: die Öffnung der Theater und die Möglichkeit, sie als lebenswerte Räume der Begegnung mitzugestalten. Die Strategien, um neue Formen von Zugänglichkeit und Beteiligung zu entwerfen, sind vielfältig. Sie reichen von partizipativen, künstlerischen Praxen und kollektiver Autor*innenschaft bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Vermittlungsformaten.
Bereits existierende Aktionsräume wie das Migrantpolitan auf Kampnagel, die WerkStadt von PACT Zollverein oder die Junge Theaterwerkstatt am Zoo vom Künstler*innenhaus Mousonturm stellen sich mit ihren modellhaften Ansätzen und Praxen vor. Weitere Ausgangspunkte sind beim FFT und tanzhaus nrw in Düsseldorf die Arbeit mit jungen Menschen zu digitalen Kulturen, am HAU Hebbel am Ufer und in HELLERAU sind es Projekte in der Nachbarschaft und mit lokalen Akteur*innen. An jeweils 2–3 Tagen stellen die Häuser ihre Praktiken vor und bieten ein Forum für Austausch und Auseinandersetzung. Dabei beziehen sie Expert*innen und interessierte Öffentlichkeiten ein und laden dazu ein, neue Formate und Werkzeuge zu erproben. Die Reihe Kunst und Begegnungen richtet sich an alle, die gemeinsam Strategien der Beteiligung an den Schnittstellen von Kunst und Gesellschaft entwickeln möchten: Nachbar*innen, Aktivist*innen, Vermittler*innen, Dramaturg*innen, Künstler*innen, Multiplikator*innen, Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Kunstinteressierte und lokale Communities.
Module
Eröffnungsstatements Kunst & Begegnungen
Das Arbeitsfeld Kunst und Begegnung fächert sich in vielfältige Themenbereiche, Praxen und Strategien auf. Anlässlich der Eröffnung der gleichnamigen Veranstaltungsreihe wurden sowohl historische als auch aktuelle gesellschaftspolitische Einordnungen des Arbeitsfelds vorgeschlagen.
Hier können Sie Ausschnitte aus den Begrüßungsreden von Kathrin Tiedemann, Intendantin des FFT Düsseldorf und Ingrida Gerbutavičiūtė, Intendantin des tanzhaus nrw, Mina Mahmoudian (PACT Zollverein) und Stella Konstantionu (HAU Berlin) als Vertreterinnen der Arbeitsgruppe Kunst und Begegnungen, sowie Katja Grawinkel-Classen (FFT) und Lucie Ortmann (tanzhaus nrw), Kuratorinnen des Moduls “TikTok - Virales Theater” nachlesen.
Kathrin Tiedemann, Intendantin des FFT Düsseldorf
Begrüßungsrede (Ausschnitt)
Das Thema Kunst und Begegnungen berührt so etwas wie das Herzstück der darstellenden Künste – nämlich das Verhältnis zwischen Bühne und Publikum. Wer sind die Darsteller*innen und wer die Dargestellten und in welchem Verhältnis stehen sie zu den Adressat*innen – und wer ist dabei nicht gemeint, wer kommt nicht vor, wer wurde und wird ausgeschlossen? Das sind zentrale Fragen seit den Anfängen des Theaters. (…)
In den 1970 Jahren hat der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hofmann die Notwendigkeit, mehr Beteiligung in den kulturellen Institutionen zu erreichen, auf die Formel „Kultur für alle!“ gebracht. Es war die Zeit, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt die alte Bundesrepublik dazu aufforderte, „mehr Demokratie“ zu wagen. Es wurde eine Bildungsreform in Gang gesetzt, die für Chancengleichheit sorgen sollte, und überall entstanden Soziokulturelle Zentren, in denen Angebote der kulturellen Bildung und Beteiligung Menschen zu „mündigen Bürgern“ erziehen sollten. Auch die Gründung vieler freier Theatergruppen und der ersten Produktionszentren für die freien darstellenden Künste fallen in diese Zeit.
Heute stehen Demokratien überall auf der Welt unter Druck, wir sprechen davon, wie sie verteidigt oder wehrhaft gemacht werden können. Um so wichtiger ist es, dass wir uns darüber austauschen, welchen Beitrag wir dazu leisten können und wollen. Das Ziel „Kultur für alle“ lässt sich heute unhinterfragt nicht mehr formulieren – wir sind uns bewusst, dass kulturelle Institutionen nicht per se Orte der Demokratie sind. Stattdessen verstehen wir uns als Aushandlungsorte und als lernende Orte, an denen wir gemeinsam mit denjenigen, die zu lange ausgeschlossen wurden, daran arbeiten, unsere Einrichtungen selbstkritisch zu betrachten, um ihre Zugänglichkeit zu verbessern und vielfältige Möglichkeiten der Beteiligung zu schaffen und zu erproben.
Mina Mahmoudian und Stella Konstantinou
Statement der AG Kunst und Begegnung (Ausschnitt)
Kunst und Begegnung kann man in einigen Aspekten mit Carearbeit vergleichen. Es ist eine Art Carearbeit in den Institutionen und in ihren Netzwerken und wie auch sonst im Leben ist diese Carearbeit nicht immer sichtbar. Es ist aber spürbar, sobald sie wegfällt.
Wir haben es mit vielen Existenzängsten zu tun, bei den Beteiligten an unseren Projekten, bei den Kunstschaffenden, sowie in der Öffentlichkeit und - besonders in der Arbeit mit jungen und jüngeren Menschen - immer häufiger auch mit massiven existenziellen Ängsten, vor allem in Bezug auf unseren Planeten und seine Zukunft. Diesen Existenzängsten stellen wir Begegnungsräume entgegen, die Solidarität, Partizipation und manchmal Heilung anbieten. Es geht darum, weiter zu lernen, sich auszutauschen, zu vertiefen, zu üben, auszuhandeln, zu feiern. Es geht darum, die Bedingungen dieser Arbeit immer wieder neu zu definieren und Machtverhältnisse wahrzunehmen und zu hinterfragen. Es geht auch darum, Demokratisierung von unten dezentral zu fördern und den Mut zu haben, Raum für alle leer zu halten, bis er sich füllt - mit neuen Stimmen und verschiedenen Lebensrealitäten. Und es wird gekocht, diskutiert, getanzt und gefeiert.
In Zeiten einer absurden Priorisierung von Gewalt und Profit über Leben und Verbindung brauchen wir solche Orte des Austausches und der Solidarität mehr als je zuvor.
Katja Grawinkel-Claassen, Lucie Ortmann (Kuratorinnen „TikTok – Virales Theater“)
Vorstellung der Veranstaltung (Ausschnitt)
Caspar Weinmann vom onlinetheater.live sagt sehr häufig: „Social Media ist das größte Theater unserer Wirklichkeit.“ Wäre es nicht schön, wenn das Theater auch das größte soziale Medium unserer Wirklichkeit wäre? In der Frage liegt auch Hoffnung.
Auf TikTok begegnen sich jeden Tag Milliarden von Menschen. Sie inszenieren mehr oder weniger ihre Posts. Sie spielen mehr oder weniger eine Rolle, für die sie sich mehr oder weniger entschieden haben. Sie tanzen. Sie schauen einander zu, schauen sich etwas ab. Sie reagieren aufeinander, regen sich auf, regen sich wieder ab und es wäre ein Leichtes, dieses Massenmedium zu kritisieren und für viele Probleme verantwortlich zu machen, die wir aktuell haben, ohne zu sehen, dass es allen Massenmedien irgendwann so ergangen ist.
Wir hatten das Gefühl, alle reden über TikTok und das Problem ist dabei, dass wir meistens übereinander reden. Auf dieses Problem wollten wir reagieren. Unser Vorschlag an diesem Wochenende ist es also, vor allen Dingen miteinander zu reden. Auch wenn wir Fragen haben. Auch wenn wir unterschiedliche Wissensstände haben. Gerade dann vielleicht. Und die künstlerischen Arbeiten, die wir euch zeigen möchten, die haben uns dazu ganz besonders inspiriert.
Was ist TikTok? Ist es doch ein virales Theater? Was ist unser Publikum? Ist das absolut digital? Wie bildet sich Communities? Was bedeutet Tanz auf TikTok?